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Rezension: "Sorgsam gesteigerte Leidenskurve" (Kronenzeitung - Österreich)

Neuberger Kulturtage: Oratorium von Joseph Haydn zur Eröffnung im Münster
Sorgsam gesteigerte Leidenskurve

Vor dem geneigten Ohr Heinz Fischers – die Bundespräsidenten weilen im Sommer traditionell in Mürzsteg, das heuer von Neuberg eingemeindet wurde – eröffneten Wiener Kammerorchester und Singakademie die Neuberger Kulturtage. Intendant Stefan Vladar dirigierte mit Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ einen Klassiker unter den Oratorien.

Mit Ausnahme des Erdbebens am Ende, das „Presto, e con tutta la forza“ zu spielen ist, hat Joseph Haydn „Die sieben letzten Worte“ gemäß ihrer ursprünglichen Funktion als rituelle Passionsmusik nur in langsamen Sätzen ausgeführt. Weil er auch bei der späteren Oratorienfassung seines 1787 rein instrumental konzipierten Werks auf komplexe Durchführungen und virtuosen Klimbim verzichtet hat, eignet sich das Stück für eine Aufführung im riesenhaften Hallraum des Neuberger Münsters durchaus besser als etwa ein Verdi-Requiem oder Beethovens „Neunte“.

Stefan Vladar organisierte die feierliche Orchestereinleitung mit Ruhe und Überblick, arrangierte die sparsamen Haydnschen Strukturen zu harmonisch vollgriffiger und intonatorisch sauberer, stets sorgfältig austarierter Fülle, ließ die Pausen atmen, ohne die schönen klassischen Proportionen auszuleiern.

Mit seinem ersten Einsatz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ schwang sich der von Heinz Ferlesch ideal einstudierte Chor des Wiener Konzerthauses im homophonen Satz prachtvoll und textdeutlich auf, und die Solostimmen Seri Baek (Sopran), Sonja Brühling (Alt), Sascha Zarrabi (Tenor) und Daniel Weiler (Bass) konnten sich davor mit expressivem Vibrato meist gut behaupten. Nur das dauerhaft geschärfte Leidensforte der Sopranistin ragte mitunter monolithisch heraus.

Anschaulich gab Vladar in der ersten Wendung zum tragischen f-Moll von „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Bewegung zu; drastisch brach der Chor in das zagende „Ach, mich dürstet“ des Tenors ein, und die dynamischen Reserven für das hart knatternde Staccato des finalen „Il Terremoto“ waren beträchtlich.
           Kronenzeitung (Österreich), 2015 07 13